75 Jahre Vertreibung aus dem Sudetenland

 

Als sich im Oktober 2021 erneut der Zeitpunkt der Vertreibung aus der Heimat jährte, erinnerten sich viele Nachkommen der Vertriebenen an die Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern.

Bild links: Ansicht Kirche von Bernhau

Am 26.09.1946 begann die beschwerliche und entbehrungsreiche Fahrt in Güterwaggons mit lediglich 50 kg Gepäck pro Person, wobei der Grenzübertritt am 1. Oktober in Furth im Wald erfolgte. Nach einem Aufenthalt in Obernburg kamen Anfang Oktober insgesamt 210 Menschen aus Bernhau und Rudelzau, Nachbargemeinden im Sudetenland, in Pflaumheim und Wenigumstadt mit dem Zug an. Der Anfang war schwer: Die Unterbringung in Pflaumheimer Haushalte wurde über Zuteilung durch das Landratsamt geregelt, es herrschte überall, auch auf dem Land, Hunger und den von den Einheimischen als „Flüchtlinge“ bezeichneten traumatisierten Menschen schlug viel Misstrauen und Ablehnung, aber auch Hilfsbereitschaft entgegen.

Dies änderte sich nur sehr langsam, die Hinzugezogenen bauten mit viel gegenseitiger Unterstützung Häuser und integrierten sich im Ort über Vereine und die Kirchengemeinde und nicht zuletzt über Eheschließungen, was dem Abbau von Vorurteilen äußerst dienlich war. Trotzdem wurde die Verbindung zu den Herkunftsdörfern auf unterschiedlichen Wegen aufrechterhalten: Heimattreffen, Busfahrten in das frühere Sudetenland, insbesondere nach Bernhau und Rudelzau, 1977 Übernahme der Patenschaft der damals noch selbständigen Gemeinde Pflaumheim über die ehemaligen Gemeinden Rudelzau und Bernhau, Benennung von Straßen im Neubaugebiet nach den vorgenannten Orten, Gedenksteine in Pflaumheim und Wenigumstadt, Aufbau eines kleinen Archivs, das inzwischen vom Geschichtsverein Pflaumheim betreut wird.

Die Erinnerungen an die alte Heimat, auch der Kinder und Kindeskinder der 1946 von dort Vertriebenen, folgen keinem rückwärtsgewandten bzw. revanchistischem Gedankengut, im Gegenteil. Sie orientieren sich an der bereits 1950 in Stuttgart verabschiedeten Charta der Vertriebenen, in der auf Rache und Vergeltung verzichtet wird sowie als gemeinsames Ziel die Schaffung eines geeinten Europas und der Wiederaufbau Deutschlands und Europas genannt wird. Mittlerweile gibt es gute Kontakte zu dem tschechischen Verein Lubavia, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, das Erbe der ehemaligen deutschen Bevölkerung zu bewahren und die Reste der Dörfer zu erhalten, beispielsweise im Heimatmuseum in Odrau, welches auf Privatinitiative eingerichtet wurde und sich als Museum für tschechisch-deutsche Verständigung bezeichnet. Dort werden 700 Jahre Geschichte der deutschsprachigen Bevölkerung dokumentiert und viele Ausstellungsstücke aus dem Leben der Sudetendeutschen präsentiert.

 

Text: Karin Ming, Karl-Heinz Rohm

Bilder: Archiv Heimatvertriebene

Bearbeitet von Herbert Rachor

 

 

 Heimatvertriebene in Pflaumheim

Rudelzau und Bernhau

Als Folge des verlorenen Krieges 1939 – 1945  wurden in den Ostgebieten, vor allem aus dem heutigen Polen und der heutigen Tschechischen Republik, die seit Jahrhunderten dort lebenden Deutschen „ausgesiedelt“. Außer 50 kg Gepäck mussten Liegenschaften, Hab und Gut zurückgelassen werden. Aus dem Sudetenland wurden mehr als 3,5 Millionen Menschen vertrieben.

Die Vertreibung der 210 Personen aus den sudetendeutschen Gebieten, die in Pflaumheim und Wenigumstadt eine neue Heimat gefunden haben, ist auch ein Teilbereich der Geschichte von Pflaumheim und Wenigumstadt. Ihre Heimatorte waren vorwiegend Rudelzau und Bernhau, Landkreis Bärn, in Nordmähren etwa 14 km nach der Quelle an der Oder gelegen und aus Tscheschdorf und Sternberg.

In Pflaumheim kamen am 14. Oktober 1946 die größte Gruppe mit insgesamt 120 Personen aus den beiden Gemeinden Rudelzau und Bernhau an. Der damalige Pflaumheimer Bürgermeister Gabriel Schadt hatte die schwere Aufgabe die Neuankömmlinge unterzubringen. Die Einheimischen mussten den ohnehin schon knappen Wohnraum mit den Heimatvertriebenen teilen.

Pflaumheim, das zu Beginn des Jahres 1946 1625 Einwohner zählte, wuchs bis 31. Dezember 1946 auf 1969 Personen an, davon waren 521 Heimatvertriebene und Evakuierte. Der Eingliederungsprozess war für beide Teile nicht einfach, mit beiderseits gutem Willen musste es aber weiter gehen.

Nach der Währungsreform gab es wieder Arbeit und Brot. Bald wurden neue Baugebiete in Pflaumheim geschaffen. Die meisten Heimatvertriebenen konnten in den fünfziger Jahren in Eigenleistung und mit gegenseitiger Hilfe ein bescheidenes Eigenheim bauen. Man hat sich eingelebt und im Laufe der Zeit folgten Eheschließungen zwischen Einheimischen und Vertriebenen und heute sind sie längst Ploimer geworden.

Die damals noch selbstständige Gemeinde Pflaumheim hat mit Beschluss des Gemeinderates vom 15. Oktober 1976 die Patenschaft zu den sudetendeutschen Gemeinden Rudelzau und Bernhau übernommen und beim Heimattreffen der Einwohner der beiden Orte am 17/18. September 1977 im Ambrosiushaus mit Urkunde feierlich besiegelt. In dem Neubaugebiet „Bergweg II“ sind Straßen nach den beiden Gemeinden benannt.

Der erste Sprecher (Ortsbetreuer) der Rudelzauer war Wilhelm Theimer, ab 1979 übernahm das Amt Alfred Wagner und ab 2012 ist es Julia Nagel. Für die Bernhauer ist es bis heute Ernst Ambrosch.

In einem Raum der Pflaumheimer Schule am St.-Anna-Weg wurde von Alfred Wagner und Ernst Ambrosch ein kleines Archiv angelegt und im Januar 2007 eröffnet. Dort sind Bücher, Dokumente, Urkunden und Schriften von den beiden Gemeinden, Modelle der Heimatkirchen und auch einige für den gewaltsamen „Exodus“ noch beschrifteten Holzkoffer aufbewahrt, in den die Vertriebenen ihre Habseligkeiten, im zulässigen Höchstgewicht von 50 kg pro Person, verpackt hatten.

Das Archiv der Vertriebenen wird vom Geschichtsverein Pflaumheim übernommen und gepflegt werden, sobald dieser seine neuen Räumlichkeiten bezogen hat. In denen soll dann auch das Archiv der ehemaligen Gemeinde Pflaumheim Platz finden.

Das Archiv der Vertriebenen ist mittlerweile (2015) in die Räumlichkeiten des Geschichtsvereins ungezogen und wird dort von den Heimatvertriebenen und vom Verein gepflegt.

 

 

Quellen: Alfred Wagner, Ernst Ambrosch, Lothar Rollmann

Zusammengestellt und bearbeitet von Herbert Rachor

 


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